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Tiefenkulturelle Epochen der Menschheit und die Bedeutung von CoKreativität als Fraktal der Zukunft
Zusammenfassung einer Vorlesung zu den Epochen tiefenkultureller Grundwerte nach der Theorie des amerikanischen Sozialpsychologien Prof. Claire Graves
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CoKreativität als moderne Liebe und entscheidende schöpferische Kraft der Zukunft

Die Menschheit steht wahrscheinlich am Beginn eines neuen Zeitalters. Ausgelöst durch die Informations- und Kommunikationspotenziale des Internets werden Entwicklungen möglich, von denen frühere Generationen kaum zu träumen wagten. Doch Technik ist nur das Skelett von Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Verwirklichung der durch sie möglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen gelingt erst durch entsprechenden kulturellen Geist, durch Ideen, die auch das menschliche Potenzial auf die Höhe dieser Technik erheben und begeistern. 

 

Doch welche neuen Ideen vermögen dies? Haben nicht die politischen Experimente des 20. Jahrhunderts gezeigt, dass alle konkreten Utopien letztlich beschränkt sind und daher freie und soziale Marktwirtschaft der beste Kompromiss zwischen unfreiem Sozialismus und Raubgier-Kapitalismus ist?

In gewisser Weise ist das so. Doch es gibt ein ernormes menschliches Potenzial, welches bisher nur zufällig entwickelt wird und vielleicht das Potenzial zur Gestaltung einer freien, menschlichen und ökologischen Welt bietet: CoCreativität

 

CoCreativität ist keine Utopie, sondern eine moderne Aktualisierung, Verstärkung, Befreiung und Intensivierung der großartigen Ursprungsideen von freier Individualität, Demokratie und sozialer Marktwirtschaft: 

„Gott, Buddha, Allah etc. … ist Liebe“ ist die Essenz aller großen Religionen. Und auch bedeutende Philosophien sahen Liebe bzw. kreative Liebe (Hermann Lotze) als Grund des Seins. Doch weil das Wort „Liebe“ so alltäglich und vielfältig verwendet wird, verdeckt es oft den tieferen Sinn dieses Begriffs: die Integration der beiden stärksten Pole menschlicher und universeller Existenz: Freiheit und Verbundenheit bzw. Individualität und Kommunikation.

CoKreativität integriert wie kein anderer moderner Begriff die drei Dimensionen, welche der Begriff „Liebe“ mehr oder weniger unbewusst schon immer umfasst:

 

Drei Dimensionen der CoKreativität 

 

Zum Einen die Bejahung und kreative Freiheit des eigenen oder anderen Ichs, die sich entfaltet, wenn Einzelne sich ihrer einzigartigen Existenz und Begabung bewusst werden.

 

Zum Zweiten die bei aller Einzigartigkeit des Individuums immer wirksame Resonanz mit anderen Individuen, woraus die Freude vieldimensionaler Verbundenheit und eine das Potenzial des Einzelnen manchmal unendlich übersteigende gemeinsame Kreativität erwachsen kann.

 

Zum Dritten den tieferen Sinn jeglicher Kreativität, die nur dann wirklich gute und schöne Werke oder Innovationen hervorbringt, wenn sie nicht egohaft abgespalten, sondern als einzigartige Mitschöpfung der Evolution verstanden, gefühlt und verwirklicht wird.

 

Wie wichtig die im heutigen Kreativitätshype oft vernachlässigten zweite und dritte Dimensionen sind, lässt sich kurz mit Verweis auf zwei anerkannte Forscher umreißen:  Abraham Maslow, maßgeblicher Mitbegründer der Humanistischen Psychologie, unterschied primäre und sekundäre Kreativität. Sekundäre oder spezielle Kreativität erzeugt neuartige Stühle oder Autos. Doch primäre oder selbstaktualisierende Kreativität erwächst aus tieferer Seins- oder Evolutionsverbundenheit. Aus dem Zusammenspiel beider, die er integrale Kreativität nannte, entstehen Intuitionen und Inspirationen für unerwartete neue Möglichkeiten in Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Kunst.  

 

Die Positivitätsforscherin Barbara Frederickson beschreibt in ihrem Buch „Die Macht der Liebe. Ein neuer Blick auf das größte Gefühl“ erstaunliche Forschungen dazu, inwiefern  zwischenmenschliche Resonanz eine entscheidende kreative Energie sowohl für Gesundheit und Glück der Einzelnen, als auch für die Zukunft unserer Welt ist. Ein Zitat daraus: „Liebe ist nicht das, wofür wir sie halten. Sie ist kein dauerhaftes und exklusives Gefühl, das an die Beziehung zu einem besonderen Menschen gebunden ist.  Liebe besteht aus Sekundenbruchteilen emotionaler Verbundenheit, die unsere Psyche, unseren Körper und unser soziales Umfeld positiv beeinflussen. … Unser ganzes Leben profitiert von diesen kurzen Momenten der Verbindung zu anderen Menschen, die wir nicht einmal kennen müssen. Sie erweitern unsere Wahrnehmung, unser Bewusstsein und unsere Kreativität ... Diese Art von Liebe lässt sich fördern und sie hat die Macht, unsere Welt zum Guten zu verändern.“

 

 

CoKreativität als Koralle im Spiral Dynamics

 

Viele evolutionär engagierte oder kreativ tätige Menschen kennen inzwischen das ursprünglich vom amerikanischen Sozialpsychologen Claire Graves entdeckte Modell kultureller oder gesellschaftlicher Evolution, welches inzwischen meist als Spiral Dynamics bekannt ist. Dieses darzustellen ist hier nicht der Raum. Wer es nicht kennt informiere sich bitte im www. Doch wer es etwas kennt weiß, dass seine jüngsten Levels kultureller Evolution sehr verwandt sind mit dem, was einst Jean Gebser und  Aurobindo Ghose und heute vor allem Ken Wilber als integrale Bewusstseinsformen bezeichnen. Graves Evolutionsmodell ist jedoch offener in seiner Suche nach den nächsten Schritten der kulturellen Evolution. Zugleich erwähnt Graves, dass sich im integralen oder „second tier“ Zyklus die Evolutionslevel des ersten Zyklus auf neue, bewusstere Weise wiederholen. Wer das Modell kennt, weiß auch, dass das kurz als „rot“ bezeichnete Level des ersten Zyklus jenes war, in dem der Mensch begann seine Welt aktiv zu gestalten – wenn auch vor allem durch mehr oder weniger egomanische Männer. Diese verbanden die vormals tausenden kleinen und einander oft bekriegenden Stämme zu den großen Reichen des alten Sumer, Ägypten, Persien, Indien, China, Rom oder/und zu den Weltreligionen des Judentums, Christentums, Islam etc.

Bisher sind im gängigen Spiral Dynamics Modell jedoch nur die ersten beiden Level des integralen Zyklus beschrieben. Beide reichen jedoch offensichtlich nicht aus, um den ökologischen und seelischen Selbstzerstörungstendenzen der vorintegralen „modernen“ bzw. mentalen Gesellschaften durch erfolgreiche Gestaltungen neuer, nachhaltiger Kulturen, Wirtschaften und Gesellschaften zu begegnen.

Daher braucht es eine integrale Neuauflage jenes dritten Levels, welches damals vormodern „rot“ die Weltgestaltung durch Menschen einleitete. Dieses neue integrale „rot“, welches oft auch kurz als „koralle“ bezeichnet wird, muss zwar erneut starke Aktivitäts- und Gestaltungskraft freisetzen, doch nicht in jener klassisch-roten egomanischen Form. Es braucht eine neue Qualität mindestens ebenso starker und wirksamer Gestaltungskraft, die jedoch zugleich frei von den Schatten des Egomanischen ist. „CoKreativität“ könnte diese integrale Kernqualität einer neuen menschlich-kulturellen Gestaltungs- und Transformationsintensität sein.

 

 

Ko-Evolution und CoKreativität

 

In der Naturforschung wurde inzwischen erkannt, dass die biologische Evolution nicht wie früher postuliert primär konkurrenzgetriebene Auslese des Stärksten, sondern ein ko-evolutionäres Geschehen ist. CoKreativität ist daher in gewisser Weise bewusste kulturelle Ko-Evolution.

 

Der Begriff CoKreativität ist noch relativ jung. Vermutlich taucht er jetzt auf, weil die Evolution bzw. Geschichte der Menschheit an einem entscheidenden Punkt angekommen ist: Freie menschliche Kreativität schuf all die wundervollen Fortschritte von Wissenschaft und Technik, welche ein relativ sorgenfreies und erfülltes Dasein der jetzt und künftig lebenden Menschen ermöglichen kann. Doch um dies auch zu verwirklichen, und nicht mit einfacher Fortsetzung bisheriger Tendenzen die irdischen Lebensgrundlagen zu gefährden, braucht es neue Dimensionen menschlicher Kreativität und Zusammenwirkung: wirkliche CoKreativität.

  

Diese Idee der CoKreativät ist natürlich nicht völlig neu. Auch in bisheriger Geschichte gelangen viele bedeutsame technische, gesellschaftliche oder kulturelle Innovationen nur im Zusammenspiel kreativer Einzelner. Doch bisher waren dies häufig eher Zufälle und selten Ergebnisse bewusst verwirklichter CoKreativität. Nun ist es an der Zeit, ihre Wirkungsweisen und Entfaltungsbedingungen selbst zu erforschen und somit bewusster, freier und erfolgreicher anwendbar zu machen. 

Wen mehr dazu interessiert, der ist eingeladen, beim Festival der CoKreativität im August im Gut Pommritz (www.philosofie.org) mitzuwirken. 

 

(Text von Maik Hosang, erscheint in der Zeitschrift "SEIN", Nr. 3/2017, ONE WORLD VERLAG Berlin)